Ungeachtet massiver Proteste hat das Parlament in Georgien ѡ am Dienstag das umstrittene Gesetz zur "ausländischen Einflussnahme" verabschiedet.
Die Abgeordneten in Tiflis billigten in dritter und letzter Lesung mit 84 Ja-Stimmen bei 30 Gegenstimmen das Vorhaben, wie in einer Live-Übertragung des georgischen Fernsehens zu sehen war. Seit Wochen gibt es in Tiflis Massenproteste, da das Gesetz nach Ansicht seiner Kritiker für "russische Verhältnisse" in der ehemaligen Sowjetrepublik sorgen würde.
Im Parlament kam es vor der Abstimmung erneut zu Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten der Regierungspartei Georgischer Traum und der Opposition. Bereits bei vorherigen Debatten waren Abgeordnete bei Auseinandersetzungen verletzt worden.
Rund 2000 mehrheitlich junge Demonstrierende, die sich schon vor der Verabschiedung am Parlament versammelt hatten, kündigten für den Abend weitere Proteste an. "Diese Leute hören uns überhaupt nicht zu", sagte die 34-jährige Lehrerin Mariam Javachischwili, die ihren Sohn mit zur Demonstration brachte. Das Gesetz werfe Georgien in Sowjetzeiten zurück. "Für meine Kinder will ich verhindern, dass das passiert", fügte sie hinzu. "Ich befürchte, dass es Polizeigewalt gibt, aber ich habe keine Angst", sagte sie weiter.
Nach dem neuen Gesetz müssen sich Organisationen und Medien, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, in Georgien behördlich als Organe, die die "Interessen ausländischer Mächte verfolgen", registrieren lassen. Kritiker sehen darin eindeutige Parallelen zum Gesetz gegen "ausländische Agenten" in Russland. Das erlaubt es den dortigen Behörden, massiv gegen kritische Medien und Organisationen vorzugehen.
Viele Demonstrierende befürchten generell eine Annäherung an Russland, obwohl die Regierung betont, sie wolle Mitglied der EU werden. "Wir waren beim Krieg mit Russland fünf Jahre alt. Wir haben schlechte Kindheitserinnerungen daran", sagte die 20-jährige Demonstrantin Marta Doboranidze in Bezug auf den Krieg von 2008.
Die Führung in Moskau zählt die ehemalige Sowjetrepublik Georgien zu ihrem Einflussgebiet.
2008 marschierten russische Truppen in Georgien ein, Russland erkannte anschließend die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien als unabhängige Kleinstaaten an.
Georgien ist seit Dezember offiziell EU-Beitrittskandidat. Mit dem neuen Gesetz ist eine europäische Zukunft für das Kaukasusland aber kaum vorstellbar. "Die EU-Mitgliedstaaten sagen ganz klar, dass eine Verabschiedung dieses Gesetzes ein ernsthaftes Hindernis für die europäische Perspektive Georgiens darstellt", warnte ein EU-Sprecher im Vorfeld der Verabschiedung.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes sei der Status Georgiens als EU-Beitrittskandidats "nichts mehr wert", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), im Deutschlandfunk. "Es wird zu keinen Verhandlungen kommen."
Die Verleihung des Kandidatenstatus sei jedoch eine "Anerkennung des Mutes der Bevölkerung" und ein "Vertrauensvorschuss" gewesen. Die Menschen in Georgien erwarteten deswegen von der EU harte Sanktionen gegen diejenigen, die für das Gesetz stimmten, sagte Roth. "Die EU muss jetzt ein klares Zeichen setzen, dass sie weiterhin an der Seite der Bevölkerung steht, aber dass so etwas mit unseren Werten und unseren Prinzipien nicht in Übereinstimmung zu bringen ist", forderte er.
Mit Blick auf die für Oktober geplante Parlamentswahl sagte er, es gebe im Land große Befürchtungen, dass es keine faire Abstimmung geben werde.
Die Protestierenden sagten, sie hofften darauf, die Regierungspartei Georgischer Traum ѡ bei der Wahl abstrafen zu können. "Wir warten auf den Moment, eine neue Regierung wählen zu können", sagte der 27-jährige Hotelmanager Peter, der seinen Nachnamen aus Furcht vor Konsequenzen für seine Sicherheit nicht nennen wollte.
Bei den zahlreichen Protesten der vergangenen Wochen war es immer wieder zu Festnahmen und Gewalt gekommen, auch Journalisten wurden von der Polizei angegriffen. Die Regierung bezeichnete die Protestierenden als gewalttätigen Mob. Sie wolle mit dem Gesetz mehr Transparenz schaffen. 2023 hatte die Regierung ein ähnliches Vorhaben nach Massenprotesten zurückgezogen.
kü/ck © Agence France-Presse
Es folgt ein
Die jüngste Entscheidung des georgischen Parlaments, das umstrittene Gesetz zur "ausländischen Einflussnahme" zu verabschieden, wirft tiefe Schatten auf die demokratischen Ambitionen des Landes und seine europäischen Aspirationen. Trotz vehementer Massenproteste und der offensichtlichen Missachtung öffentlicher Meinung hat das Parlament ein Gesetz gebilligt, das von vielen als direkter Angriff auf die Pressefreiheit und die Zivilgesellschaft angesehen wird.
Die Vorschrift, dass Organisationen und Medien, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, sich als Agenten ausländischer Mächte registrieren müssen, erinnert unweigerlich an ähnliche restriktive Maßnahmen in Russland. Diese Gesetze haben in der Vergangenheit dazu gedient, kritische Stimmen zu stigmatisieren und zu unterdrücken. Die Analogien zu Russlands Umgang mit kritischen NGOs und Medien sind nicht zu übersehen und werfen Fragen auf, inwieweit Georgien tatsächlich gewillt ist, einen eigenständigen, demokratischen Weg zu gehen.
Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass dieses Gesetz kurz nach der offiziellen Anerkennung Georgiens als EU-Beitrittskandidat verabschiedet wurde. Die Entscheidung scheint im direkten Widerspruch zu den Werten und Anforderungen der Europäischen Union zu stehen, welche Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und den Schutz der Zivilgesellschaft als Grundpfeiler sieht. EU-Vertreter haben bereits gewarnt, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes ein erhebliches Hindernis für Georgiens europäische Perspektive darstellen könnte.
Die Reaktionen innerhalb Georgiens zeigen, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung sich nicht mit dieser Richtung der Politik identifizieren kann. Die andauernden Proteste, besonders von jungen Menschen, die schlechte Erinnerungen an den Konflikt mit Russland im Jahr 2008 haben, signalisieren einen tiefgreifenden Wunsch nach einem anderen politischen Kurs. Dass die Regierung die Proteste als Handlungen eines "gewalttätigen Mobs" abtut, deutet auf eine beunruhigende Entfernung von dialogorientierter und inklusiver Politik hin.
Das neue Gesetz könnte außerdem die bereits angespannten Beziehungen zu Russland weiter komplizieren und die geopolitische Lage in der Region destabilisieren. Es steht im krassen Gegensatz zu den Bemühungen, eine unabhängige und souveräne Politik zu führen, die nicht durch die Schatten der sowjetischen Vergangenheit definiert ist.
Es ist entscheidend, dass die Europäische Union und andere internationale Akteure ein starkes Zeichen setzen und Georgien deutlich machen, dass solche repressiven Maßnahmen nicht nur die Beziehungen zu europäischen Partnern belasten, sondern auch das Vertrauen der eigenen Bevölkerung untergraben. Die bevorstehenden Parlamentswahlen im Oktober werden ein entscheidender Test dafür sein, ob Georgien den Weg der Demokratie weitergehen will oder sich weiterhin von ihm entfernt.
ozd
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